Im Jahre 2004 wurde auf der Veranstaltung "Raum - Zeit - Materie" in Passau eine Videoinstallation gezeigt.
Deshalb kurz einige Gedanken zur "Zeit in der Musik".
Musik ist Zeitmedium par excellence. Wie alles in der Zeit entwickelt sich auch ein Musikstück, und folgt dabei ausschließlich der eigenen Zeitstruktur. Ein bestimmter Ton soll ja nicht um 21°:03':12" erklingen, und um 21°:03':14" von einem anderen Ton abgelöst werden. Obwohl angefüllt mit (Eigen)-Zeit, ist die Musik paradoxerweise für uns "zeitlos". Die erklärte Anti-These, das Stück 4'33" von J. Cage:
Während auf der Uhr 4 Minuten und 33 Sekunden verstreichen, erklingt kein einziger Ton. Dieses Musikstück des "Klangorganisators" hat keine Eigenzeit, sondern nur noch Fremdzeit, es ist mit dieser absoluten Umkehr des seit Urzeiten gültigen Verständnisses von Musik eine Negation der Musik.
Die Eigenzeit der Musik manifestiert sich durch Melodie, Harmonie, und vor allem durch Rhythmus, von dem auch archaische Kulturen, von dem schon jedes Kind, ohne den Begriff zu haben, "weiß".
Schon das Ungeborene "hört" den Herzschlag der Mutter. Aber auch später lebt der Mensch mit dem Rhythmus, meist ohne ihn bewusst wahrzunehmen. Vieles (alles?) kehrt gleich oder ähnlich wieder. So gehören Rhythmus und Periodik quasi zur Primordialerfahrung von Zeit überhaupt.
Daß wir eine Melodie, einen Rhythmus, daß wir Musik als Musik und nicht als punktuelles Geräusch wahrnehmen, schulden wir unserer Fähigkeit zur Synthese von Einzelereignissen (z.B. Tönen) zu einer Jetzt-Gestalt. Eine Melodie überlebt das Jetzt wohl nur, weil wir über Gedächtnis verfügen, das gerade Vergangene in der Gegenwart als Dauer festhaltend. Wie viele andere erlebte und gelebte Zeiten verträgt sich also die Eigenzeit der Musik nicht mit einem Verständnis von Zeit, nach dem ein atomar kleiner Jetztpunkt in die Zukunft wandert und Vergangenheit zurück läßt.
Gleichwohl, es gibt ein Musikstück, in dem die Eigenzeit der Musik auf dieses atomare Jetzt reduziert wird. Die Klavierkomposition "Music of Changes", wiederum von J. Cage, hat kein Tempo, keinen Takt, keinen Rhythmus, keine Melodie nichts, was als Vergangenheit fest zu halten, nichts was als Zukunft zu erwarten ist. Was sich als Musik manifestiert (Pausen, Längen, Tonhöhen, Toncluster usw) wird durch mehrfaches Werfen dreier Münzen, also ausschließlich vom Zufall bestimmt. Will man das positiv verklären, dann wird ein Zustand im Hier und Jetzt erreicht, in dem man nicht Kommendem "entgegengefiebert", und dem Vergangenen nicht "nachhängt", als zeitweilige Revolte gegen die oder Flucht aus der Zeit .
Man kann es auch anders sehen: Ein solches "Zeiterleben" (ohne Vergangenheit, ohne Zukunft, also eigentlich ohne Zeit) müßte in die Neurose führen, wäre wahrscheinlich mit unserem Leben gar nicht vereinbar
Von einem ganz anderen, nicht einfach nur entgegengesetzten Zeitverständnis aus kann und wird Musik als "außerhalb der Zeit" erlebt: Unsere Zeitmodi fließen dann ineinander, ohne dass die Vorstellungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausgesetzt würden. Vielmehr werden sie in einem Anderen aufgehoben Schon die Auflösung jeder Art von Impulsfolge zugunsten "stehender Klänge" in der Musik der Renaissance führt uns aus der Zeit heraus. Und so mancher hatte, z.B. beim Erklingen des Kopfthemas der Schubertschen b-dur Sonate, sein Rendez-Vous mit der "Ewigkeit", die weder begrifflich noch vorstellungsmäßig zu fassen ist, der Kunst aber vielleicht die Tür öffnet für einen kleinen, einen winzigen Augenblick?
Aber auch ganz ohne Rendez-Vous: Wäre Musik, so könnte man fragen, nicht das Paradigma schlechthin für "erfüllte Zeit", die charakterisiert ist durch den "Übergang", in dem sowohl Vergehen wie Werden beisammen sind, der Übergang, der, so meint Gadamer, letztlich Zeit ist ?
Indem die Videoinstallation Teile der (ursprünglichen) Zeitpfützen und Musik zusammen exponiert, wird, neben anderem, ein Symbol "vulgärer", d.h. physikalischer und biologischer Zeit, also durchaus auch unserer alltäglichen Zeit, und die Erfahrung von Zeitlosigkeit (oder von Momenten der Ewigkeit?) ins Verhältnis zueinander gesetzt.
Mimesis der Zeit?